Nachrichten Ansicht

News

19.05.2016 Kategorie: Angedacht

Autobahnromantik

Der heilsame Blick in den Spiegel

Da habe auch ich mich mal so richtig aufgeregt. Wir waren auf einer längeren Autobahnfahrt auf dem Rückweg aus dem Süden. Bei Frankfurt war die Autobahn vierspurig, wenig los, gut zu fahren. Die rechte Spur war schön frei. Also fuhren wir vorschriftsmäßig dort. Auf den Spuren links von mir waren offensichtlich Sonntagsfahrer unterwegs, die wohl nie etwas von einer Rechtsfahrpflicht gehört haben. Also musste ich von ganz rechts nach ganz links rüber, um diese Fahranfänger zu überholen. Dazu musste ich ganz schön Gas geben, um auf der linken Spur mit den Porsche fahrenden Bankern und den auffallend zahlreichen BMWs mitzuhalten. Dann wieder ganz rechts rüber, was die Führerscheinerschleicher hinter mir auch nicht zum Spurwechsel nach rechts inspirierte. Dann wurde es dreispurig und später zweispurig. Und immer hielten mich irgendwelche Träumer auf der linken Spur auf, obwohl es rechts total frei war. Aber statt ins Lenkrad zu beißen, schaute ich dann doch mal kurz in die reizvolle Gegend und in den schönen Sonnenuntergang und die beeindruckenden Wolken davor. Die Musik im Autoradio ließ mich innerlich mitsummen, ich freute mich auf zu Hause, als ich vor Schreck im Rückspiegel sah, dass einige Fahrer geduldig darauf warteten, dass ich endlich wieder nach rechts wechselte, wo es tatsächlich schön frei war. Ich ertappte mich, dass ich tat, was ich anderen vorwarf, und wurde auf einen Schlag etwas barmherziger mit meinen Mitmenschen. Es ist wohl oft so, dass wir uns über andere ärgern, während wir selber ja nie etwas Blödes tun. Schuld sind immer die anderen, während wir uns innerlich täglich das Bundesverdienstkreuz umhängen. Wir stehen vor dem Spiegel und betrachten unsere Perfektion, während wir vergessen, in den Rückspiegel zu sehen und die Realität anzunehmen. Niemand ist perfekt. Jeder hat Fehler und Macken. Da hilft kein Drängeln, Hupen und Aufblenden, sondern der heilsame Blick in den Rück- und Seitenspiegel. Damit ich die wahrnehme, die mit mir im Leben unterwegs sind. Auf der Autobahn, in meiner Familie, Straße, Klasse, in meinem Beruf, Verein und Dorf.

Michael Loeper / www.pixelio.de

Beitrag von Pastor Frank Wesemann