Jedes Jahr bekommt ein Motto, eine Parole, eine Überschrift aus der Bibel verpasst. Das nennt sich Jahreslosung. Im Gegensatz zur Tageslosung, die tatsächlich aus einer Vielzahl von Bibelversen ausgelost wird, ist die Jahreslosung eine Entscheidung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen. Im Februar 2021 einigte man sich auf einen Bibelvers, über den ich des öfteren schon eine Traupredigt halten durfte: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!
Einerseits ist die Jahreslosung kurz, griffig, verständlich. Andererseits ist sie eine Aufforderung, ein Befehl, etwas banal, eine Selbstverständlichkeit. Niemand käme auf die Idee, zu sagen: Alles, was ihr tut, geschehe mit Hass! Obwohl: Der Hamas-Terror war der Jahreslosungsfindungskommission nicht vor Augen. Auch Russlands Überfall auf die Ukraine geschah erst ein Jahr später. Soll man deshalb eine Jahreslosung ändern? Bitte nicht! Vielmehr soll man sie in die Gegenwart mit all ihren Herausforderungen sprechen lassen. Schließlich ist jedes Bibelwort Gotteswort und Menschenwort zugleich. Also können wir fragen, was Gott uns mit diesem Vers für jeden Tag des neuen Jahres sagen will.
Schon das erste Wort ist eine Herausforderung: Alles! Gut, bei frisch Verliebten ist das meistens kein Problem. Nach der ersten ernsten Meinungsverschiedenheit und dem ersten schlimmen Streit sieht das schon anders aus. Wo ist die Liebe hin, wenn den Schmetterlingen im Bauch die Flügel schwer werden? Selbst der liebevollste Mensch hat mal einen schlechten Tag. Selbst in liebevollsten Beziehungen und Gemeinschaften gibt es mal Streit, Konflikte, Enttäuschungen und Meinungsverschiedenheiten. Paulus, der diesen Vers an seine Gemeinde in Korinth geschrieben hatte (1. Korintherbrief 16,14), wusste das nur zu gut. Wie oft musste er hasserfüllte Streitigkeiten unter Christen schlichten und bekam dafür öfter mal eine blutige Nase. Aber deshalb gleich die Liebe von der täglichen To-do-Liste streichen? Weil sie enttäuscht, zurückgewiesen, verloren, vergessen werden kann? Nein, denn dazu ist sie viel zu wichtig. Wir sehnen uns nach Liebe, brauchen sie zum Leben, verzehren uns nach ihr, suchen sie, schätzen sie und strecken uns nach ihr aus. All you need is love, sangen die Beatles. Kleinkinder, denen man in düsteren Experimenten Essen, aber keine Liebe gegeben hat, starben nach kurzer Zeit. Ohne Liebe kein Leben. Darum sollen wir alles, was wir tun, in Liebe tun. Selbst das Streiten und Debattieren, das sich Vertragen und Versöhnen. Eben alles. In Liebe. Paulus meint hier mehr als ein Gefühl. Sie ist eher eine Haltung und eine Entscheidung, die über zweifelhaften und stimmungsabhängigen Gefühlen steht. Das Wort, das im griechischen Originaltext steht, meint daher nicht unsere menschliche, romantische, gefühlsduselige, zerbrechliche Liebe, sondern die verlässliche, starke, geduldige, barmherzige, wahrhaftige, hoffnungsvolle, selbstlose und ewige Liebe Gottes, die in Jesus Mensch wurde. Wir sollen also alles in der Liebe von Jesus tun und aus seiner Kraft, die er uns schenkt. Unser Liebesakku wird schnell leer durch Enttäuschung und Streit. Aber wir wissen, dass wir ihn neu bei Jesus mit seiner Liebe füllen lassen können. Weil er die Liebe in Person ist, hat er immer genug davon. Auch für uns und unseren Alltag. Brautpaaren, die diesen Spruch gewählt haben, rate ich immer, ihn auf kleine Zettel zu schreiben und überall hinzukleben, wo er ihnen ins Auge fällt: Z.B. Spiegel, Haustür, Bildschirm. Da der Vers über dem ganzen Jahr 2024 steht, hätte ich diese Idee für alle, die einen Kalender aus Papier benutzen. Im Laden kleine Herzaufkleber besorgen und auf jede Seite (jeden Tag bzw. jede Woche) kleben und sich das jeden Tag selbst und dem Partner zusprechen: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! Wahrscheinlich verändert Gott dann nicht alle Umstände, in denen wir leben. Aber er verändert uns und die Menschen, mit denen wir leben – mit seiner Liebe!

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