In meiner Kindheit nahm ich mit meinem Bruder an den Kinder- und Jugendfreizeiten unserer Kirchengemeinde teil. Da es unser Pastor damals sehr gut mit uns meinte, ging er mit uns gleich 14 Tage auf große Fahrt: Entweder ins Fichtelgebirge oder an die See. Während sich unsere Eltern aus inzwischen nachvollziehbaren Gründen auf diese Tage freuten, habe ich als schüchterner und zurückhaltender Bengel zuerst unter Heimweh gelitten. Ich freute mich zu Beginn dieser langen Freizeiten immer sehr auf das Bergfest, das zur Halbzeit gefeiert wurde. Denn die schwierige Hälfte war dann geschafft. Nun konnte es nur noch besser werden und der Tag der Rückreise kam immer näher. So wie der Aufstieg auf den Berg gewöhnlich mehr Zeit und Kraft erfordert als der Abstieg, fiel mir die zweite Freizeitwoche immer leichter als die erste. Die Hoffnung auf das Ende beflügelte, setzte Kräfte frei, ließ das Heimweh vergessen, weckte Freude, und spätestens auf dem lustig-bunten Abschlussabend und der Rückfahrt überfiel mich etwas Traurigkeit, dass diese beiden Wochen nun schon wieder vorbei waren.
Was mich in diesen stillen Tagen beflügelt, Kräfte freisetzt, Hoffnung und Zuversicht spüren lässt, ist, dass wir das Schlimmste der Corona-Pandemie wohl hinter uns haben dürften. Das soll das Leid, das die Pandemie über uns gebracht hat, nicht verharmlosen. Jeder, der an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben ist, ist einer zuviel. Aber er hat nicht mehr Trauer, Mitgefühl und Bedauern verdient als solche, die an Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs oder Unfällen gestorben sind. Jeder Tod raubt uns Menschen, die wir lieben. Er macht da keine Unterschiede. Solange wir zu 100% sterblich sind, werden wir mit 100% Wahrscheinlichkeit sterben. Aber dass das Sterben an und mit Corona in den nächsten Wochen und Monaten aller Voraussicht nach weniger und irgendwann ganz abklingen werden wird, ist ein Grund zur Freude, ein Mutmacher, Hoffnungswecker, Sehnsuchtsstiller, Angstvertreiber. Wir sind über´n Berg, haben das Schlimmste hinter uns und dürfen sehr mutig und zuversichtlich nach vorn blicken. Nach und nach wird mehr möglich sein, das Gewohnte zurückerobert werden, Liebgewonnenes zurückkommen, Altes ganz neu entdeckt werden. Vielleicht bewahren wir etwas von dem Miteinander und Füreinander. Wie schön wäre das! Vielleicht kommt es am Ende zur großen Siegesfeier wie in einem Kino-Blockbuster, wo die Helden am Ende der Schlacht gegen den übermächtigen Gegner das rauchende Schlachtfeld betrachten, die Verluste betrauern und den Sieg feiern. Vielleicht steigt bei uns im Herbst auch so eine Siegerparty. Nur, dass die Helden keine Superkräfte hatten, sondern als Erzieherin, Lehrer, Kassiererin, Verkäufer, Postbotin, Logistiker, Impfstoffentwickler, Pfleger, Krankenschwester, Ärztin, Politiker im Rampenlicht oder stiller Helfer im Impfzentrum (und viele, viele andere mehr) oft an Grenzen kamen und ihr Bestes für andere gegeben haben. Oft war es einfach ihre Pflicht. Meist kam aber auch eine Riesenportion Barmherzigkeit dazu: Nicht gegenüber sich selbst, sondern gegenüber denen, die ihnen anvertraut waren. Der Bibelspruch für Januar kommt aus Psalm 4 und lautet: „Viele sagen: "Wer wird uns Gutes sehen lassen?" HERR, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes!“ Das wäre doch schön, wenn wir die hoffentlich baldigen Besserungen und Erleichterungen wie den Abstieg von einem Berg dankbar genießen und darin auch ein Zeichen von Gottes Segen entdecken könnten!

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