Neulich war ich mit der Bahn unterwegs. In Hannover hatte ich Aufenthalt. Es war Samstagabend und die Ladenpassage voller Leben. Ich gönnte mir eine Bratwurst. Zu teuer, zu angebrannt, ein notdürftiger Ersatz für das ausgefallene Mittagessen. Oben auf dem Bahnsteig zugig, kalt, Raucher, die sich nicht an das Verbot halten. Man tritt von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten. Die Atemluft verdampft in der feuchten Kälte. Eine ältere Dame huscht vorbei, klein, unscheinbar. Verschämt wirft sie ihren suchenden Blick in die Mülleimer, greift in den Abfall, schüttelt den Kopf und geht schnell und schüchtern weiter. Am Bahnsteig gegenüber das gleiche Bild. Dort ist ein Mann auf der Suche nach Pfandgold. In einer Tüte zieht er seinen Reichtum hinter sich her. In wie viele Mülleimer hätte ich greifen müssen, um mir die Bratwurst von eben leisten zu können? Mich kotzt diese Armut an, weil ich einfach nicht verstehen kann, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen vom Müll anderer leben müssen. Als ich noch in Gedanken schwebe zwischen Ärger über diesen Zustand und Dankbarkeit für meinen relativen Wohlstand steht ein junger Mann vor mir. In der rechten Hand eine Krücke, auf die er sich stützt, in der linken eine Zigarette. Ihm fehlten noch Zweisiebzig zum Niedersachsenticket. Ich lächle ihn müde an, wahrscheinlich mit einer ungewollten Spur Verachtung in meinem Blick. Solch blumige Geschichten habe ich vor dem Pfarrhaus schon viel zu oft gehört. Er ärgert sich darüber. Wo er denn hin wolle, frage ich. Keine Antwort, nur ein Lamentieren, dass die geplante Mitfahrt mit seinen Kumpels nicht geklappt hat. Ich frage nicht warum. Ich gebe ihm das Geld. Statt sich zu bedanken, mault er rum, dass er für Zweisiebzig anderthalb Stunden rumhumpeln und Leute anquatschen musste. Vielleicht war es seine Art, danke zu sagen. Er verschwand in der Menge. Auch wenn ich nicht wusste, ob ihm das Geld geholfen hat, hatte ich ein gutes Gefühl. Ich konnte und durfte abgeben, meinen relativen Reichtum teilen; vielleicht auch dafür sorgen, dass der humpelnde Junge an diesem kalten Samstagabend noch nach Hause kam.

Bernd Kasper / www.pixelio.de