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19.11.2019 Kategorie: Angedacht

Armutsreichtum

Gott fordert uns in einer alten Bibelstelle (Jesaja 58,7) auf: Ladet die Hungernden an euren Tisch! Mal ehrlich: Wann haben wir das das letzte Mal getan: Einen Hungernden an unseren Tisch einladen? Keinen ausgehungerten Teenager, sondern einen, der jeden Tag von einer Nachtischschale Reis leben muss? Zwei Drittel der Weltbevölkerung haben nicht mehr zu essen als eine Schale Reis pro Tag. Das sind die wirklich Hungernden. Haben wir mit EINEM davon jemals schon am Tisch gesessen? Ist es nicht vielleicht Teil des Problems, dass unsere Armen so weit weg sind, dass es sie für uns kaum noch gibt? Von wegen: Arme Leute leben mitten unter uns!

Wer mal sein Auto stehen lässt und mit der Bahn fährt, sieht sie an jedem Bahnhof: Die Flaschensammler. Sie spazieren von Mülleiner zu Mülleimer; manchen blicken verschämt rein, manche haben die Scham schon längst hinter sich gelassen und greifen voll rein in den Müll auf der Suche nach Pfandgold. Saß so eine schon mal bei uns am Tisch? Das ist ja hier kein sozialpolitisches Parteiprogramm, sondern Gott selbst, der uns auffordert: Ladet die Hungernden an euren Tisch! Ich bin ja schon mächtig stolz auf mich, wenn ich dem Bettler aus der Fußgängerzone etwas vom Bäcker besorge und ihm stolz in die Hand drücke und mich freue, wenn er sich freut, wenn er sich denn freut. Aber ihn bei mir zu Hause an den Tisch bitten?

Meine Frau hat das mal gemacht. Es war vor Jahren an einem kalten Wintertag, der diesen Namen verdiente. Ein Durchreisender hatte sich von seinem Lager in Sophiental mit seinem vollgepackten Fahrrad auf den Weg zum Supermarkt gemacht, um ein paar Sachen einzukaufen. Es schneite aber doch so, dass er unmöglich zurück radeln konnte. Also nahm sie ihn mit ins Pfarrhaus, wo sie ihn ins Sitzungszimmer setzte, Kekse holte und Kaffee kochte und er sich dann aufwärmte und erzählte.

Ich bewunderte sie dafür, hielt aber etwas Abstand, weil ich eine bessere Nase habe als sie.

Mein Job war es dann, seine ganzen festgeknoteten Habseligkeiten vom Fahrrad zu lösen, ihn und alles in den Kirchenbus zu verfrachten und ihn zurück zu seiner Waldhütte in Sophiental zu fahren. Trotz angesagtem schweren Wintersturm wollte er in keine Unterkunft, „weil die da klauen“, wie er sagte, und die Hütte sei eine der wenigen, wo die Polizei nicht so oft kontrolliert. Ich setzte ihn da aus, mitten im dunklen Wald, hoffte, dass ich den Weg zurückfand, und bat Gott kräftig darum, dass er sich doch bitte auch um diesen miefigen Kerl kümmerte. Und ja: Hätte er danach gefragt und darum gebeten, hätte er auch eine Nacht im Pfarrhaus schlafen dürfen.

Vielleicht muss Gott uns das ganz neu sagen und unser Herz öffnen, dass wir um diese armutsreichen Menschen keinen großen Bogen mehr machen, sondern ihnen konkret und handfest helfen. Und das nicht nur in der herzerwärmenden Adventszeit.

Kurt F. Domnik / www.pixelio.de

Beitrag von Pastor Frank Wesemann