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21.04.2021 Kategorie: Angedacht

Neiddebatte

Jeder kommt dran

Wenn ich gewusst hätte, dass negative Tests einmal so wichtig werden, hätte ich mir einige Lernkontrollen in Englisch besser aufgehoben. Spaß beiseite, denkt jetzt einer, das ist ein ernstes Thema. Ja, schon, irgendwie. Aber irgendwie auch nicht. Es ist nur noch öde und nur noch mäßig verstörend. Genug ist genug. Nach der Impfstoffbeschaffungskatastrophe, dem Maskendealdebakel und dem Teststrategiedesaster folgt nun die nächste durch´s Dorf getriebene Sau mit dem Namen Neiddebatte. Ehe die ersten Impfnadeln gezückt waren, diskutierten schon einige engagierte Enthusiasten über Erleichterungen, die Geimpften zugutekommen sollten. Viel zu früh, solange nicht jeder den beruhigenden Pieks bekommen konnte. Gruselig die Vorstellung, dass die fitgespritzten Senioren flott zur Kreuzfahrt aufbrechen, während die sozialkontaktkastrierte Jugend traumatisiert auf den Freigang wartet. Inzwischen hört man ja fast täglich von immer mehr Leuten, die zur Impfung vorgelassen wurden. Ob nun die eingebildete Katzenhaarallergie oder die symptomfreie Männergrippe zur Vorerkrankung gerechnet wird oder schlicht der Umstand eintritt, dass man einen kennt, der einen kennt, der eine gute Beziehung zu seinem Hausarzt unterhält: Plötzlich werden Leute geimpft, die noch gar nicht dran sind. Der Impfstoff ist das neue Klopapier, und statt Koks wird Biontech unter der Ladentheke vertickt. War es erst ganz schlimm und shitstormgarantiesicher, als Impfreihenfolgevordrängler abgestempelt zu werden, bekommt man nun Angst, dass einen als letzten die Hunde beißen - oder die Fledermäuse. Entweder du wartest, oder du besorgst dir einen gefälschten Impfausweis. Du kannst dir natürlich auch einreden, dass das alles gar nicht wahr und so schlimm ist. Aber das ist selbstverständlich auch keine Lösung. Also abwarten und Tee trinken. Irgendwann ist man immer dran. Mit dem Impfen, aber auch mit dem Sterben. Mit dem Impfstoff ist es wie mit dem Geld: Es macht nicht unbedingt glücklich, aber es beruhigt ungemein.

Neid ist übrigens toxisch, weil es das eigene Herz vergiftet. Statt dankbar auf das zu sehen, was einem geschenkt ist, will man haben, was einem nicht gehört. Neiddebatten wurden schon in der Bibel geführt und nahmen nie ein gutes Ende. Also könnte man draus lernen und sich – wenn auch ungeduldig – in Geduld üben. Statt die anderen zu beneiden, könnte man sich für sie freuen. Nur kein Neid! Irgendwann kommt man schon dran: Beim Impfen hoffentlich bald, beim Sterben vielleicht nicht zu früh und beim fröhlichen Weiterleben am besten sofort!

Foto: Arek Socha / www.pixabay.com

Beitrag von Frank Wesemann