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20.05.2020 Kategorie: Angedacht, Pfarrverband

Gebetsnot

Wie sollen wir beten? Das hat mich als Pastor noch niemand gefragt.

Offenbar ist das heute allen klar, wie wir beten sollen, oder? Aber die Jünger von Jesus hatten damals diese Frage.

Wenn wir früher mit Jesus abgehangen hätten und mit ihm durch das Heilige Land gezogen wären, hätten wir ihm wohl zuerst andere Fragen gestellt: Jesus, wie hast du mit ein paar Fischen und Broten 5000 Leute satt bekommen? Wie konntest du Blinde sehend, Lahme gehend und Stumme redend machen? Wie konntest du den Sturm zu Ruhe und Lazarus wieder hinein ins Leben bringen? Wie konntest du auf dem Wasser laufen, ohne unterzugehen? Und vor allem: Wie hast du aus dem ganzen Wasser so coolen Wein gemacht?

Weil Jesus auch heute hier ist und mit uns durch unser Leben zieht, haben wir sicher auch ein paar Fragen an ihn: Über Krankheiten, über schmerzliche Abschiede, über fiese Viren, über das, was unserem Leben gerade herzhaft zusetzt an Sorgen und Ängsten.Das alles erlebten die Jünger damals auch in ähnlicher Weise - und das ohne Strom und fließend kalt und warm Wasser. Und trotzdem oder gerade deswegen war ihnen diese Frage so wichtig: Wie sollen wir beten?

Ein altes Sprichwort sagt ja: Not lehrt beten. Aber wenn das wirklich stimmt, müsste in diesen Wochen die Hotline zum Himmel heiß laufen. Davon merke ich aber nicht viel. Wenn die Not wirklich so massiv ist, müsste eine beeindruckende Gebetswelle durch unser Land rollen und Kraft, Hoffnung und Zuversicht freisetzen und Angst, Mutlosigkeit und Schwachsinn wegspülen. Aber stattdessen geht die Hoffnung baden und manche Lebensträume platzen. Existenzen sind bedroht, heißt es. Unseren Oberschülern, von denen nicht alle die allerbesten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, sage ich bei der Entlassungsfeier immer, dass sie mehr sind als ihre Noten auf dem Abschlusszeugnis. Das sind nur Zahlen, das sind nicht sie. Und so ist unsere Existenz auch nicht bedroht. Denn sie ist mehr als unser Kontostand, mehr als unser Wohlstand, mehr als das, was wir aufgebaut und erträumt haben. Wir sind und bleiben in jeder Krise, in jedem Sturm, in jedem Scheitern und jedem Zerbruch Gottes geliebte Kinder. Unseren Wert und unsere Würde machen wir nicht selber. Sie sind uns von Gott geschenkt. Deshalb ist unsere Existenz auch in der Bedrohung gesegnet, im Sturm geborgen, im Scheitern geliebt und im Zerbruch bewahrt. Und das auch ganz besonders, weil wir zu jeder Zeit und an jedem Ort im Gebet mit Gott reden dürfen. Gott ist nicht tot. Ich habe gerade eben noch mit ihm geredet

Beitrag von Pfarrer Frank Wesemann