Wo fließen oft Tränen, und wann ist Muttis Nervenkostüm bis zum Zerreißen gespannt? Richtig, beim Kinderfasching. Welch ein Drama, wenn die Muttis die Kleinen so rausputzen, als wären die ein Vorgarten in der Promisiedlung und die Kleinen nicht wissen, als was sie gehen sollen! Indianer oder Cowboy, Polizist oder Pannenhelfer, Batman oder Superman, Prinzessin oder Pippi Langstrumpf, Fee oder Fiona? Obwohl der Unterschied zwischen Fee und Prinzessin für Jungs und Väter oft nicht gleich ersichtlich ist.
In meiner späten Kindheit ging ich einmal als Oma zum Karneval. Sehr adrett, mit grauem Dutt, Nickelbrille, Strickweste und Blümchenrock wartete ich zu Hause auf meine Mutter, die mich zur Kinderfaschingsparty bringen sollte. Aber sie hatte sich offenbar bei Bekannten festgequatscht. An das Telefon (damals gab es noch keine Handys!) ging dort keiner, so dass ich den kühnen Entschluss fasste, mich als Oma in Richtung Bekanntschaft in Bewegung zu setzen. Sie wohnten rund hundert Meter die Straße runter an einer Querstraße, so dass ich zweimal den Bürgersteig wechseln musste. Ich entschloss mich, nicht rum zu hüpfen, wie man das im Alter von 12 Jahren noch machen darf, sondern mich ganz meiner Omarolle hinzugeben. Also schnappte ich mir den Krückstock, atmete tief durch und verließ das Haus. Langsam und gebeugt trottete ich den Bürgersteig runter. Als ich über die Straße wollte, hielt ein verständnisvoller Autofahrer an und lies mich rüber. Ich genoss diesen einsamen Luxus des Alters und lachte mich innerlich schlapp. Auf den letzten Metern kam mir auf dem Bürgersteig noch ein Pärchen entgegen. Und da ich unbedingt wollte, dass sie meine Rolle ernstnehmen, war ich in dem Moment die perfekte Oma (allerdings mit viel Schweiß unter der Perücke). Nach diesem oscarreifen Auftritt kam ich nach hundert Metern erschöpft am Ziel an und konnte mich dann später beim Kinderfasching davon wieder erholen.
Es hat schon so seinen Reiz, sich zu verkleiden, in eine andere Rolle zu schlüpfen oder sich sogar Masken aufzusetzen. Viele haben auch ohne Karneval mehrere Gesichter: Zu Hause der liebevolle Vater, im Betrieb der, der die Kollegen zusammen faltet; zu Freunden nett und höflich, zur Frau rücksichtslos und gewalttätig. Oft nutzen wir Masken zum Selbstschutz, und wie erleichtert sind wir, wenn wir vor echten Freunden echt sein können, also so, wie wir wirklich sind. Menschen lassen sich durch Masken beeindrucken und hinters Licht führen. Bei Gott klappt das nicht. Obwohl wir es auch da natürlich versuchen. Er fällt nicht auf uns rein, und er kennt uns, wie wir wirklich sind. Welche Folgen das für uns hat, darüber lohnt sich mal nach zu denken. Vielleicht nutzen wir dazu jetzt die sieben Wochen vor Ostern, in denen Viele auf Vieles verzichten. Verzichten wir doch einmal auf unsere Masken und leben wir als die, die wir in Gottes Augen jetzt schon sind: Als seine geliebten Kinder. Das steht uns besser als Batman und Prinzessin.

olga meier-sander / www.pixelio.de