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23.09.2020 Kategorie: Angedacht, Pfarrverband

Einheitsfreude

Gottes Wink mit dem Zaunpfahl

Für mich ist es Gottes Wink mit dem Zaunpfahl, dass der Tag der Deutschen Einheit immer so nahe beim Erntedankfest liegt. In diesem Jahr wird die Einheit schon 30 Jahre alt. Sie ist also aus dem Gröbsten raus und auf dem Wege, erwachsen zu werden. Das ging und geht nicht ohne erhebliche Wachstumsschmerzen. So wie eine hübsche Villa, die in zwei Jahren mühevoll erbaut wurde, mit einem Abrissbagger innerhalb von zwei Tagen in Schutt verwandelt werden kann, so kann man umgekehrt nicht ein Land, dass von einem gottlosen System in 40 Jahren runtergewirtschaftet wurde, in wenigen Jahren zum Blühen bringen. Aufbau dauert immer länger als Abbruch. Aber wenn ich richtig sehe, wurde in dieser kurzen Zeit schon Unglaubliches geleistet. Nicht immer perfekt, nicht immer passend, nicht an jedem Ort und in jedem Landstrich, aber im Großen und Ganzen darf man überall gut, frei und unbespitzelt leben. Im ersten Jahr der Einheit erschien ein großes Poster mit Leuten, die auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor die Deutschlandfahne schwenkten und darüber der Liedvers: Nun danket alle Gott! Freude und Dankbarkeit überwogen damals und das Bewusstsein, dass vor unseren Augen tatsächlich etwas Wunderbares passierte. Etwas, womit niemand wirklich gerechnet hatte. Ein Wunder, dass man mit Kerzen und Gebeten gegen Gewehre und Panzer antrat – und gewonnen hat. Ein Wunder, dass am Abend des 9. November die Grenzöffnung etwas tollpatschig bekannt gegeben wurde. Ein Wunder, dass sich in dieser Nacht wirklich die Grenzen öffneten und keiner der sonst nicht zimperlichen Grenzsoldaten austickte. Vor unseren Augen vollzog sich eines der größten Wunder überhaupt. Aber statt sich zu freuen und Gott zu danken, gab es schnell Gemaule und eine gravierende Gottvergessenheit. Die Freude blieb manchen im Halse stecken, als sie realisierten, dass der Reichtum und der Wohlstand nun zu teilen war, dass man von dem Zuviel etwas abgeben musste und die Einheit ans Eingemachte geht. Es wurde tatsächlich in so kurzer Zeit so viel erreicht. Wer dafür nicht dankbar sein kann, dem ist nicht mehr zu helfen. Auch die Gaben, für die wir am Erntedankfest danken, sind unverdiente Geschenke. Wer dafür nicht mehr danken kann, handelt gedankenlos und nimmt sich selber eine große Portion persönlichen Glücksgefühls: Die Dankbarkeit.

Foto: Jens Märker / www.pixelio.de

Beitrag von Pastor Frank Wesemann